Chaotisch, charmant und mit dem Leben überfordert: Das ist vermutlich die erste Assoziation, die vielen in den Kopf schießt, sobald sie versuchen Victoria als Filmfigur zu beschreiben – eine Frau nur einen Schritt vom Nervenzusammenbruch entfernt. Wenn das nicht an einen Klassiker der Filmgeschichte erinnert. Mit „Mujeres al borde de un ataque de nervios (Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs)“ eroberte Pedro Almodovar Ende der 80er Jahre erstmals ein breites Publikum. In unzähligen (amerikanischen) Komödien der letzten Jahre spielten sich Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts, deren Leben aus den Fugen geraten ist, in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Abgesehen davon, dass Frauenromanen ohne ihre durch die Weltgeschichte stolpernden Protagonistinnen schlechte Absatzzahlen zu prognostizieren wären. Frauen in der Krise – was täten wir ohne sie. Sie sind mit ihren auf humorvolle Art und Weise erzählten Geschichten des Scheiterns oftmals nicht nur ein Garant für Umsatz und Erfolg, sondern lassen einen auch das eigene Leben unter Umständen weniger verkrampft betrachten.
Diesbezüglich liefert auch der zweite Spielfilm der französischen Regisseurin Justine Triet reichlich Stoff. „Victoria“ ist Romantik-Komödie, Gerichtsfilm und ein Werk voll von Absurditäten, gespickt mit schwarzem Humor. In der Hauptrolle glänzt die belgische Schauspielerin Virginie Efira, die sich verloren doch für die Zuseher nicht minder sexy anzusehen durch das Chaos spielt, das ihr Leben geworden ist. Mutter von zwei Kindern, Anwältin und Hausfrau – die Überforderung ist in allen Sparten des Lebens zuhause.
„Verzweifelte Komödie einer modernen Frau“
Wann genau das Leben angefangen hat aus den Fugen zu geraten, lässt sich als Zuseher nur erahnen. Als die Kamera erstmals auf die Enddreißigerin im Chaos ihrer Wohnung schwenkt ist bereits klar, hier ist jemand nicht mehr mit sich im Reinen. Wenn dann auch noch die Männer beginnen für Ärger zu sorgen, ist es nicht mehr weit zum Meltdown. Angeheizt wird die Stimmung neben einer Reihe von missglückten One-Night-Stands vor allem vom Ex-Ehemann, der das Leben der Anwältin in einem Roman bloßstellt, und einem Ex-Freund, der aufgrund einer Anklage wegen Körperverletzung an seiner neuen Freundin zum Problem-Klienten wird. Trost findet Victoria in Sam, einem ehemaligen Drogendealer, der zum Babysitter avanciert und das schafft was Psychiater, Wahrsagerinnen und spiritistischen Akupunkteuren nicht gelingen will – nämlich die zu Beruhigungsmitteln neigende Frau zu stützen und für ein Gefühl der Geborgenheit zu sorgen. Die Stütze währt jedoch nicht lange. Aufgrund eines verbotenen Gesprächs mit einer Zeugin wird Victoria als Anwältin für ein halbes Jahr suspendiert. Arbeitslos ist Babysitter Sam, der gerne Anwalt werden möchte und zudem heimlich in Victoria verliebt ist, finanziell nicht mehr leistbar und die frustrierte Frau vegetiert in ihrer Wohnung dahin. Ob all der Tragik, die eine Depression mit sich bringt, eine der witzigsten Episoden im Film, der Dank Zeugenaussagen von Hunden und Affen auch mit reichlich Skurrilem und Slapstickartigem aufwartet.
Das alles macht „Victoria“ zu einem Stück unterhaltsamem Kino, das es vermeidet im seichten Gagpool zu fischen, Klischees eher verkehrt als sie zu bedienen und stellenweise sogar mit reichlich Tiefgang aufwarten kann. Als eine Satire über Sex und Beziehungen beschreibt Triet selbst ihren Film. „Eine verzweifelte Komödie über das chaotische Leben einer modernen Frau“. Wie viele Frauen sich in ihrem Leben einen Ex-Dealer für die Kinderbetreuung holen würden während sie eine Klage wegen Verleumdung führen, weil sie zur Romanfigur geworden sind und sich mit dem Fall eines exzentrischen Ex-Freundes vor Gericht herum schlagen sei dahingestellt. Fest steht; wir haben alle unsere Leichen im Keller und vielleicht, wenn man über fremde Schmunzeln kann, kann man es auch über die eigenen.
Victoria. Ein Film von Justine Triet. Mit Virginie Efira, Vincent Lacoste, Melvil Poupaud uvm. Frankreich 2016. 98 Minuten.
Kinostart: 25. Mai 2017
© Filmladen Filmverleih
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